Carlo Wloch, Bildhauer und Steinrestaurator, Freund und Helfer vieler bedeutender Künstler, ein Handwerker par excellence und als solcher ganz selbstverständlich auch mit künstlerischer Ambition begabt, hat sich etwas Merkwürdiges vorgenommen: Er hat den PKW Trabant 601, das Seh22nsuchtsmobil vieler Menschen in dem untergegangenen Land DDR, 25 Jahre nach dem Ereignis dieses Untergangs aus einem Sandsteinblock geschlagen. 13 Tonnen schwer, ockergelb, liebevoll durchgearbeitet mit sandigen Oberflächen und allen Details. Alles ist da: die Scheinwerfer, die Rücklichter, die Wasserableitungen am Autodach. Die ganze ärmlich funktionale Simplizität der ökonomisch ausgedörrten DDR-Moderne. Doch aus Stein statt Aluminium und Phenolharzen. Anscheinend für die Ewigkeit gemacht, als eine Art makabres Symbol für das Ewigkeitsversprechen der sozialistischen Weltanschauung, die erodierte wie der Stein einst erodieren wird, wenn er im Regen steht. Ein Werk, in dem sich die Zeit materialisiert. Doch wird das länger dauern als nur 40 Jahre.
Aber hat der Bildhauer das im Sinn gehabt? Oder war es ihm nicht eher um eine Art Mimikry zu tun? Das Ding ist eine Skulptur, die etwas nachahmt. Es tut so, als könne man die Tür öffnen und einsteigen in das Gefährt, das mit seinem 26-PS-Zweitaktmotor den Bewegungsradius wie die olfaktorischen Rahmenbedingungen unserer Ost-Existenz dargestellt hat: durch das Gemisch aus Öl und Benzin, ergänzt vom Geruch der mit Braunkohle beheizten Kachelöfen, die den smell der Grundbedürfnisse der Bürger darstellten: den Traum von Mobilität und etwas Wärme zu Hause.
Doch es bleibt verschlossen wie ein Denkmal, das etwas erzählt, von dessen Anlass man wissen muss um es zu verstehen. Ein erratischer Block, der seine Bedeutung durch unsere Projektionen des Erinnerns gewinnt. Und die Erinnerungen sind höchst ambivalent – wie die an die DDR. Das vom sogenannten Volksmund als „Rennpappe“ bezeichnete Auto war ein Symbol der den Anschluss mehr und mehr verlierenden Wirtschaft im Osten, aber sie gewann 1970 in ihrer Klasse die Rallye Monte Carlo. Sie war der am Ende unterlegene Bruder des VW-Käfers und hat doch vergleichbare Träume der sogenannten „kleinen Leute“ in Ost und West erfüllt. Bulgarien statt Italien, Rumänien statt Frankreich – die Freiheit im Maß der Möglichkeiten. Mehr als drei Millionen Trabants der unterschiedlichen Baureihen wurden produziert, mathematisch je einer für jeden sechsten Bürger der DDR. Wer aber einen davon haben wollte, der musste zehn lange Jahre warten: auch die „Bruderländer“ des Ostblocks hatten rege Nachfrage und im Lande selbst gab es eine Menge bevorzugter Menschen denen die Wartezeiten geschenkt wurden.
Ganz zum Schluss waren es in der Mehrheit Trabantfahrer, die auf die Straße gingen, das Ende der Staatsattrappe DDR herbeiführten und zuerst über die plötzlich geöffneten Grenzen fuhren. Allein das qualifiziert das stillgestellte, aus Stein gehauene Automobil namens „Trabant“, das heißt „Begleiter“, „Weggefährte“ russisch „Sputnik“, zu einem uneindeutigen Symbol, einer Metapher für die Endlichkeit von gesellschaftlichen Systemen.
Warum also stellen wir Carlo Wlochs steinernen Trabant nicht einfach am Straßenrand vor dem neu entstehenden Berliner Schloss ab? So als wollte er gerade dort vorbeifahren, der lahme Engel der Geschichte an einem ihrer symbolkräftigsten Orte.
Die Einheit Deutschlands braucht keine sinnlos pompösen Denkmäler, wie sie derzeit in Planung sind. Bescheidene Erinnerungszeichen halten Geschichte viel eher lebendig. Carlo Wlochs sandsteinernen Trabant wird man auch dann noch „lesen“ und verstehen wollen, wenn die Zeugen der Zeit nicht mehr sprechen. Wie so oft wird dann das Lapidare zum offenen Geheimnis: saxa loquuntur, die Steine sprechen.
Matthias Flügge, September 2015
C. W. und der steinerne Gast
Carlo Wloch, Bildhauer und Steinrestaurator, Freund und Helfer vieler bedeutender Künstler, ein Handwerker par excellence und als solcher ganz selbstverständlich auch mit künstlerischer Ambition begabt, hat sich etwas Merkwürdiges vorgenommen: Er hat den PKW Trabant 601, das Seh22nsuchtsmobil vieler Menschen in dem untergegangenen Land DDR, 25 Jahre nach dem Ereignis dieses Untergangs aus einem Sandsteinblock geschlagen. 13 Tonnen schwer, ockergelb, liebevoll durchgearbeitet mit sandigen Oberflächen und allen Details. Alles ist da: die Scheinwerfer, die Rücklichter, die Wasserableitungen am Autodach. Die ganze ärmlich funktionale Simplizität der ökonomisch ausgedörrten DDR-Moderne. Doch aus Stein statt Aluminium und Phenolharzen. Anscheinend für die Ewigkeit gemacht, als eine Art makabres Symbol für das Ewigkeitsversprechen der sozialistischen Weltanschauung, die erodierte wie der Stein einst erodieren wird, wenn er im Regen steht. Ein Werk, in dem sich die Zeit materialisiert. Doch wird das länger dauern als nur 40 Jahre.
Aber hat der Bildhauer das im Sinn gehabt? Oder war es ihm nicht eher um eine Art Mimikry zu tun? Das Ding ist eine Skulptur, die etwas nachahmt. Es tut so, als könne man die Tür öffnen und einsteigen in das Gefährt, das mit seinem 26-PS-Zweitaktmotor den Bewegungsradius wie die olfaktorischen Rahmenbedingungen unserer Ost-Existenz dargestellt hat: durch das Gemisch aus Öl und Benzin, ergänzt vom Geruch der mit Braunkohle beheizten Kachelöfen, die den smell der Grundbedürfnisse der Bürger darstellten: den Traum von Mobilität und etwas Wärme zu Hause.
Doch es bleibt verschlossen wie ein Denkmal, das etwas erzählt, von dessen Anlass man wissen muss um es zu verstehen. Ein erratischer Block, der seine Bedeutung durch unsere Projektionen des Erinnerns gewinnt. Und die Erinnerungen sind höchst ambivalent – wie die an die DDR. Das vom sogenannten Volksmund als „Rennpappe“ bezeichnete Auto war ein Symbol der den Anschluss mehr und mehr verlierenden Wirtschaft im Osten, aber sie gewann 1970 in ihrer Klasse die Rallye Monte Carlo. Sie war der am Ende unterlegene Bruder des VW-Käfers und hat doch vergleichbare Träume der sogenannten „kleinen Leute“ in Ost und West erfüllt. Bulgarien statt Italien, Rumänien statt Frankreich – die Freiheit im Maß der Möglichkeiten. Mehr als drei Millionen Trabants der unterschiedlichen Baureihen wurden produziert, mathematisch je einer für jeden sechsten Bürger der DDR. Wer aber einen davon haben wollte, der musste zehn lange Jahre warten: auch die „Bruderländer“ des Ostblocks hatten rege Nachfrage und im Lande selbst gab es eine Menge bevorzugter Menschen denen die Wartezeiten geschenkt wurden.
Ganz zum Schluss waren es in der Mehrheit Trabantfahrer, die auf die Straße gingen, das Ende der Staatsattrappe DDR herbeiführten und zuerst über die plötzlich geöffneten Grenzen fuhren. Allein das qualifiziert das stillgestellte, aus Stein gehauene Automobil namens „Trabant“, das heißt „Begleiter“, „Weggefährte“ russisch „Sputnik“, zu einem uneindeutigen Symbol, einer Metapher für die Endlichkeit von gesellschaftlichen Systemen.
Warum also stellen wir Carlo Wlochs steinernen Trabant nicht einfach am Straßenrand vor dem neu entstehenden Berliner Schloss ab? So als wollte er gerade dort vorbeifahren, der lahme Engel der Geschichte an einem ihrer symbolkräftigsten Orte.
Die Einheit Deutschlands braucht keine sinnlos pompösen Denkmäler, wie sie derzeit in Planung sind. Bescheidene Erinnerungszeichen halten Geschichte viel eher lebendig. Carlo Wlochs sandsteinernen Trabant wird man auch dann noch „lesen“ und verstehen wollen, wenn die Zeugen der Zeit nicht mehr sprechen. Wie so oft wird dann das Lapidare zum offenen Geheimnis: saxa loquuntur, die Steine sprechen.
Matthias Flügge, September 2015
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